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Viscous Bodies

Sarah Hermanutz | Alanna Lynch

Alanna Lynch: Concealed and Contained, 2009 – laufend, Performance

Sarah Hermanutz: Inside Bodies, 2016, Performance

Sarah Hermanutz / Alanna Lynch: Nervous in flux, 2018, Ausstellungsansicht, Art Laboratory Berlin, Foto: Sarah Hermanutz

Sarah Hermanutz / Alanna Lynch: Nervous in flux, 2018, Ausstellungsansicht, Art Laboratory Berlin, Foto: Alanna Lynch

Das Ausstellungsprojekt präsentiert in einem offenen Rahmen die aktuelle künstlerische Forschung zweier Künstlerinnen an der Schnittstelle von Kunst und Naturwissenschaft. Ausgehend von liquiden Substanzen basieren die Arbeiten von Sarah Hermanutz und Alanna Lynch auf Themen wie Amphibien, Begrenzungen, Feuchtgebiete, Körpergrenzen, Marginalisierung, Materialästhetik, Sickerwasser und Sinneswahrnehmung durch Performances, Installationen, Multimedia und lebende Kunstwerke. Das Projekt lädt die Öffentlichkeit ein, sich in vielfältiger Weise mit der Materie, im direkten und übertragenen Sinne, zu beschäftigen.


Alanna Lynch arbeitet mit lebenden Organismen und biologischen Materialien und untersucht mittels Performance die Politik der Affekte und Fragen über Handlungsfähigkeit. Sie erforscht die Ästhetik von Ekel und Angst mit einem Fokus auf verkörpertes Wissen und Dynamiken des unbewussten. Ihre Performances erkunden oftmals Körper und Identität als komplexe und undefinierbare Einheiten; beide bestehen aus immer teilbareren Teilen der Materie.

In ihrem Projekt Potentials von 2015-16 kultiviert Lynch Kolonien von Fruchtfliegen, Drosophila melanogaster, einem Modellorganismus, über einen gesamten Lebenszyklus, wobei sie mikroskopische Fotografie und performative Formate nutzt und die Besucher mit einer forschungsähnlichen Umgebung mit Fliegenbehältern konfrontiert. Die Reaktionen reichen von Neugier bis Ekel. Sie begann mit zwei Fliegen, dann vermehrten sie sich. Lynch entwickelt während des Versuchs Elemente der Forschung und Kontrolle und interessiert sich dabei für die menschliche Reaktion und Interaktion mit den Fliegen.

Die neue Arbeit Fermenting Forces von 2018 gleicht einer Sammlung von DIY-Stinkbomben. Mithilfe eines Online-Rezepts hat Lynch verschiedene organische Materialien, einschließlich Haare, gesammelt, die mit Hilfe einer Lupe entzündet werden können. Die Materialien sind in Miniaturflaschen auf einem Glasregal aufbewahrt und erinnern sowohl an Parfümflakons als auch an winzige Molotowcocktails. Die Arbeit verbindet materielle Sinnlichkeit mit dem Potenzial von Ekel und ruft widersprüchliche sensorische Reaktionen hervor.

Alanna Lynch: Potentials, 2015/16

Alanna Lynch: Fermenting Forces, 2018, Ausstellungsansicht, Art Laboratory Berlin, 2018

Ausstellungsansicht, Viscous Bodies, Foto: Alanna Lynch

Ausstellungsansicht, Viscous Bodies, Art Laboratory Berlin, 2018

Das laufende Projekt Gut Feelings ist entstanden aus Lynchs Interesse an Kombucha, einem fermentierten Tee, am menschlichen Mikrobiom und einer Erkundung ‚am eigenen Leib‘ zu Affekt der Materie. Bei Performances und Workshops bietet die Künstlerin dem Publikum Kombucha-Tee an und erläutert den Begriff SCOBY (Symbiotische Kultur von Bakterien und Hefen) mit taktilen und olfaktorischen Bezügen. Der getrocknete Kombucha besteht aus Zellulose, die Lynch in Handschuhe und andere Gegenstände umformt. Sie interessiert sich sowohl für die Formen und Verwendungen des Materials dieser mikrobiellen Gemeinschaft als auch für die Veränderungen, die bei der Aufnahme in unsere internen mikrobiellen Gemeinschaften – unser Mikrobiom – entstehen.

Für ihre Performance Concealed and Contained von 2009-18 sammelte sie neun Jahre lang ihr eigenes Haar und häkelt es zu einem immer größer werdenden Behältnis, das zwischenzeitlich Kopf und Schultern bedeckt. Während der Aufführung ist sie nackt – bis auf das selbstgemachte ‚Versteck‘, an dem sie dann kontinuierlich arbeitet. Der gehäkelte Work-in-progress verweist auf ein Objekt, das sich in seiner Funktion des Bedeckens sowohl auf menschliches und nichtmenschliches bezieht: Kleidungsstück und Behälter.


Sarah Hermanutz erforscht die Schnittstellen von Performance, Technologie und Ökologie. Ihre Skulpturen, Installationen und performativen Arbeiten beschäftigen sich mit Feuchtgebieten, amphibischen Wesen, Genderaspekten und sozialer Kognition. Hermanutz betrachtet ihre kollaborative Praxis mit anderen menschlichen und nichtmenschlichen Wesen als einen Weg, die individualisierte künstlerische Praxis und Intention zu destabilisieren.

Live Decomposition von 2017/18, eine aktuelle Zusammenarbeit mit dem Soundkünstler Nenad Popov, wurde letztes Jahr in Lissabon und Berlin aufgeführt. Das Video dokumentiert Hermanutz Hände in einem Aquarium mit Schlamm, Sand, lebenden und toten Feuchtorganismen und anderen gesammelten Materialien. Hermanutz hatte schon immer ein Interesse an Aquarien, welche die Möglichkeit/ Unmöglichkeit von Miniatur-Ökosystemen darstellen und von menschlichen Händen gesteuert werden. Das Gitter als menschliche Struktur wird ständig durch den schleimigen Schlamm und andere organische Materialien, die in Schichten organisiert sind, unterminiert. Eine Schichtung von Lebendigem, Nicht-Lebendigem, Natürlichem und Mensch durchzieht die Performance, die auch Elemente visueller und auditiver Untersuchung beinhaltet.

Sarah Hermanutz: Salamander Morning Veil, 2008-09, Performance

Sarah Hermanutz: Salamander Morning Veil, 2008-09, Performance

Ausstellungsansicht, Viscous Bodies, Foto: Alanna Lynch

Ausstellungsansicht, Viscous Bodies, Art Laboratory Berlin, 2018

Sarah Hermanutz: Live Decomposition, 2017-18, Foto: Art Laboratory Berlin

Die Künstlerin interessiert sich sehr für Amphibien, sowohl als Organismus als auch als Metapher. In Inside Bodies wird ein Axolotl in einem Gefäß zu einem Moment menschlicher/ nichtmenschlicher Begegnung. Diese Assemblage war Teil eines Gemeinschaftsprojekts mit Paula Montecinos, einer chilenischen Performancekünstlerin und Klangforscherin, und Nayeli Vega, einer Textildesignerin aus Mexiko, deren Arbeiten sich mit sozialen Praktiken beschäftigen. In den Originalaufführungen schwamm ein lebender Axolotl in einem Wassergefäß, das auf Kontaktmikrofonen platziert war, und übertrug seine Schwingungserfahrung auf den größeren Raum und das Publikum. Resonatoren wurden an andere Wassergefäße angeschlossen, die als Lautsprecher fungierten. Sie kombinierten Vibrationen aus Stein, Wasser und Luft, die Medien für eine zwischenartliche Kommunikation darstellten.

Mit Axolotln und Salamandern hat Hermanutz seit vielen Jahren zusammen gearbeitet, da sie sich für ihre komplexe Lebensweise und prekäre ökologische Situation interessiert. Ihre Arbeit Salamander Mourning Veil von 2008/09, die Zeichnungen, Fotografien und Performances umfasst, ist eine künstlerische Aussage über das Massensterben von Amphibien und den Abtrag von Feuchtgebieten, ein melancholisches Statement über Pflege und Empathie im Sinne von Haraways Diktum „Staying with the trouble“. Das Stück wurde an einem öffentlichen Ort und einem Feuchtgebiet in Nordkalifornien aufgeführt. In der Rolle einer mythischen weiblichen Figur – teils Fee, teils Nonne – wiegt die Künstlerin einen großen Stoff-Salamander, der in Größe und Gewicht einem Kleinkind entspricht. In beiden Umgebungen entstand ein Zustand des Unheimlichen, ein unvereinbares Zusammentreffen von wild und zivilisiert, lebendig und tot, real und künstlich. Die hybride Rolle der Fee-Nonne kann als Akt der Fürsorge oder Trauer um eine bedrohte Welt verstanden werden.

Sarah Hermanutz / Alanna Lynch: Nervous in flux, 2018, Ausstellungsansicht, Art Laboratory Berlin, Foto: Alanna Lynch

Sarah Hermanutz / Alanna Lynch: Nervous in flux, 2018, Ausstellungsansicht, Art Laboratory Berlin, Foto: Sarah Hermanutz

Für die Ausstellung haben die beiden Künstlerinnen an einer neuen Installation Nervous in flux zusammengearbeitet, welche die Materie und Ästhetik von Viskosität und Flüssigkeiten untersucht. Die Installation ist ein verwobenes System aus Flüssigkeiten, lebenden Materialien, Organismen und Technologie, das die gemeinsamen Themen ihrer Arbeit umfasst. Hermanutz involvierte mehrere Marmorkrebse (Procambarus fallax forma virginalis), die parthenogenetischen Töchter, Klone jener, die in einem Werk von Maja Smrekar bei ALB 2014 verwendet wurden. Als wahre ‚Töchter des Anthropozäns‘ haben sich diese Krebse durch den Aquarienhandel ausgebreitet und sich durch Selbstklonierung entwickelt, alle genetisch identisch. Lynch hat einen Samowar mit Leinsamengel gefüllt, einem Material mit hoher Viskosität, das auch als organisches Haargel verwendet wird. Die Installation enthält mehrere Wassersysteme, die von Pumpen gesteuert werden und durch unzählige Gefäße als spielerische Kombination aus Fundstücken und Sand fließen. Das Wasser speist sich aus lokalem Leitungswasser sowie Wasser aus dem nicht weit gelegenen Fluss, der Panke. Die Arbeit ist eine Erforschung von Material und Prozess, eine Erkundung von Fluiditäten.

Regine Rapp & Christian de Lutz

Ort

Art Laboratory Berlin
Prinzenallee 34, 13359 Berlin

Datum und Öffnungszeiten

Vernissage: 23. März 2018, 20 Uhr
24. März – 13. Mai 2018
Fr – So, 14 – 18 Uhr oder nach Vereinbarung

Kuratiert von

Regine Rapp & Christian de Lutz

Team

Art Laboratory Berlin

Fotodokumentation

Alanna Lynch
Sarah Hermanutz
Art Laboratory Berlin

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