PROSTHESES
Transhuman Life Forms
Susanna Hertrich
Art Laboratory Berlin freut sich, die Künstlerin Susanna Hertrich vorzustellen: Die Ausstellung reflektiert das Phänomen von Prothesen als menschliche Erweiterung im 21. Jahrhundert. Im Kontext neuester Technologien sowie aktueller Entwicklungen im Bereich der Neurowissenschaften und Biologie stellt Susanna Hertrich neue transhumane sensorische Erweiterungen vor, die mit der Debatte um human 2.0 eng verbunden sind.
Die ausgestellten Arbeiten sind Teil ihres lang angelegten Forschungsprojekts Bodies & Technology. In den Arbeiten von Susanna Hertrich wird der menschliche sensorische Apparat durch computergesteuerte Prothesen erweitert. Die Ergebnisse können als künstlerische Hypothese sowie technologisches Experiment verstanden werden. Die künstlerischen Arbeiten reflektieren unsere gegenwärtigen Lebenswelten und befragen soziale, politische sowie physische Konsequenzen der neuesten Technologie auf kritische Weise.
The Jacobson’s Fabulous Olfactometer (JFO), a device worn on the
Die Arbeit Jacobson’s Fabulous Olfactometer (JFO) versteht sich als sensorische Prothese, die auf Kopf und Gesicht getragen wird. Es imitiert das vielen Säugetieren eigene „Flehmen“ – das Wittern mit geöffnetem Maul bei aufkommender Gefahr. Wenn das Gerät einen gefährlichen Wert der Luftverschmutzung aufnimmt, zieht die Prothese die Oberlippe des Nutzers nach oben und legt die Zähne bloß. Susanna Hertrich hat die Idee für das Projekt während einer Künstlerresidenz am Forschungslabor TASML der Tsinghua Universität in Peking 2012 entwickelt und das Phänomen des Smogs in der chinesischen Metropole direkt in ihre Arbeit einfließen lassen (vgl. Video). Die Arbeit JFO verweist auf bestehende, aber oftmals nicht sichtbare Bedrohungen des 21. Jahrhunderts. Bemerkenswert ist hierbei die postanthropozentrische Geste – die Künstlerin bietet dem Menschen an, sich eine biologisch programmierte Reaktion auf Gefahr aus der Tierwelt anzueignen.
In den Vitrinen ist die Serie Prostheses for Instincts zu sehen. Es geht um die Idee, dass eine Erweiterung der natürlichen Sinnesorgane des Menschen unsere Wahrnehmung ausbauen kann. Dabei hat Susanna Hertrich neue Überlebensmechanismen für eine sich verändernde Welt geschaffen.
Die Serie ist hauptsächlich während eines Forschungsaufenthalts an der University of Tokyo 2009 entstanden. In der Meta Perception Research Group hatte Susanna Hertrich mit Dr. Carson Reynolds († 2014) und Dr. Alvaro Cassinelli ästhetische, funktionale sowie ethische Fragestellungen diskutiert: „What if we had devices that induced emotions in a manner similar to instincts, but triggered by non-tangible stimuli? What if we used machines to act as prostheses for instincts we have not yet developed?“
Die Arbeit Synthetic Empathy beispielsweise lädt ein, sich mithilfe verschiedener Prothesen dem Elend der Welt emotional zu öffnen. Unterschiedliche Vorrichtungen ermöglichen eine empathische Offenheit in Form von inszenierten Zuständen der Angst, Panik oder Trauer.
Die Prothese Alertness Enhancing Device verweist auf die Wahrnehmung weltweiter Gefahren (medial aufgeladene Terror-Attacken vs. tatsächliche, weniger sichtbare Klimagefahren). Die Vorrichtung ermöglicht, sich die Angst vor den eigentlichen „wahren“ Gefahren durch kleine Elektroschocks anzutrainieren.
Die Aufbereitung der Arbeiten in den Vitrinen bei Art Laboratory Berlin spielt mit der Metapher der klassischen naturwissenschaftlichen Schausammlung und erzeugt damit ein Spannungsfeld zwischen einer wissenschaftlich faktischen Präsentationsform und dem narrativen fiktionalen Charakter, in dem die Arbeiten inszeniert sind. Gleich einer Ausstellung in der Ausstellung sind wir Betrachter mit einer inszenierten musealen Systematik konfrontiert, welche die Dynamik des spekulativen Designs ins Zentrum rückt.
In der Ausstellung sind auch Fotografien, Zeichnungen und Collagen zu sehen, die den künstlerischen Entstehungsprozess der ausgestellten Prothesen visualisieren. Die von Hertrich und Reynolds entwickelten Diagramme verweisen auf Themen der menschlichen Instinkte oder künstlichen Angst.
Die Arbeit Automatic Anchoring Armour (AAA) ist gedacht als „Instant Therapy for Nervous People“ (Hertrich). Die Arbeit versteht sich als künstlerischer Kommentar zur Debatte um Furedis ‚Kultivierung der Verletzlichkeit’. Anstatt einer Psychotherapie und der damit einhergehenden Offenlegung der eigenen psychischen Verletzlichkeit schlägt die Künstlerin vielmehr eine unmittelbare Heilung durch Akupressur vor.
Die vor kurzem entstandene Arbeit Ohne Titel (Nine) ist der Beginn einer Serie, in der Susanna Hertrich über die Imitationen von Tiersinnen (vgl. Vitrinen) hinausgeht. Das Portrait zeigt eine junge Frau mit der Nase eines Sternmulls (der Sternnasenmaulwurf, Condylura cristata, lebt in Nordamerika und kommt aus der Familie der Maulwürfe). Indem Hertrich tierische Sinnesorgane in menschliche Gesichter montiert, stellt sie die unmittelbare Verschmelzung von Mensch und Tier zur Debatte. Damit berührt sie eine Vielzahl aktueller Debatten, nicht zuletzt auch die ethische.
Um den Diskurs auszuweiten, zeigen wir im hinteren Ausstellungsraum den Dokumentarfilm von Rafel Duran Torrent über die Cyborg Foundation. Im Zentrum steht der Künstler Neil Harbisson, von Geburt an komplett farbenblind, der mithilfe des „Eyborg“ Farben hören kann und als erster Cyborg von einem Staat offiziell anerkannt wurde.
Regine Rapp & Christian de Lutz (Kuratoren)
Presse Feedback
labiotech. eu publiziert am 08.01.2016 vom Dani Bancroft, BioArt in Berlin: Making Dystopia Beautiful with Prostheses and the Transhuman Life
Frankfurter Allgemeine Zeitung, publiziert am 25. November 2015 by Tamara Marszalkowski, Prothesen als
Thesen in Geisteswissenschaft. P. 3
BERLINARTLINK publiziert November 2015 von Alison Hugill, Susanna Hertrich
Hyperallergic.com, publiziert am 22 November, 2015 von Gretta Louw, Prosthetic Devices for the Modern Psyche
Form.de publiziert am October 2015, Prostheses. Transhuman Life Forms. Susanna Hertrich
art-in-berlin.de publiziert am 16. Oktober 2015, Reparatur von Wirklichkeit: Susanna Hertich bei Art Laboratory Berlin