Borderless Bacteria / Colonialist cash
Ken Rinaldo
Borderless Bacteria / Colonialist Cash diskutiert wichtige aktuelle Aspekte der Biopolitik. Mit der Visualisierung mikrobieller Landschaften von Banknoten eröffnet das Projekt einen Diskurs über die gegenseitigen Verbindungen von ökologischem und ökonomischem Austausch. Ken Rinaldo hatte den Wunsch geäußert, die Ausstellung ohne seine Anreise (aus den USA) zu realisieren, um die CO2-Emissionen so gering wie möglich zu halten. Das Projekt Borderless Bacteria / Colonialist Cash ist 2017 während Rinaldos Aufenthalt bei Cultivamos Cultura in Portugal entstanden. Einige Teile der Berliner Ausstellung entstanden im Dezember 2019 in Zusammenarbeit mit Schüler:innen der Gustav-Freytag-Schule in Berlin-Reinickendorf im Rahmen einer Kooperation zwischen der Schule, ALB und der Gruppe DIY Hack the Panke.
Dem menschlichen Mikrobiom, den Mikroorganismen, die auf und in unserem Körper leben, wurde in jüngster Zeit viel Aufmerksamkeit gewidmet. Diese Gemeinschaften existieren auch auf den meisten Oberflächen um uns herum. Wenn wir Objekte berühren, tauschen wir Bakterien, Pilze und Viren aus und hinterlassen Mikrobiota. So ist es keinesfalls überraschend, dass diejenigen Dinge, die wir am meisten berühren, so auch Geld, nicht nur ein Medium des wirtschaftlichen, sondern auch des mikrobiellen Austauschs sind. Laut einer Studie des NYU Center for Genomics & Systems Biology wurden 3000 Arten von Bakterien auf Dollarnoten von nur einer Bank in Manhattan identifiziert.
Ken Rinaldo, ein etablierter Künstler auf dem Gebiet der Bio- und Postmedia-Art, entwickelt hybride menschlich-nichtmenschliche Ökologien. Borderless Bacteria / Colonialist Cash erforscht das versteckte Mikrobiom des Geldes in einem kritischen Bezugssystem, der auch Tauschen und Macht reflektiert. Teilen sich der chinesische Yuan und der amerikanische Dollar also Bakterien- und Pilzgemeinschaften?
Das mikro-performative Projekt ist faszinierend einfach aufgebaut: Auf angereichertem Agar sind verschiedene Scheine internationaler Währung in quadratischen Petrischalen präsentiert. Zeit spielt eine entscheidende Rolle, da eine mikrobielle Landschaft entsteht und sich im Laufe von mehreren Wochen verwirklicht. Besucher_innen können mit Hilfe von Leuchtkästen und einem digitalen Mikroskop die sich entwickelnden Petrischalen erkunden.
Auf ästhetischer Ebene verliert die Ikonographie der Währung buchstäblich ihr Gesicht, da das mikrobielle Wachstum den Repräsentationsaspekt der Banknoten untergräbt. Der offizielle Charakter des Geldes wird unterlaufen, da seine mikrobielle Natur sichtbar wird: Ein feines Netzwerk von Myzelien bedeckt den Kopf von George Washington auf einer Dollarnote; bei einer 10-Franken-Note ist Le Corbusier aufgrund des Bakterienwachstums schon gar nicht mehr auszumachen.
Ästhetische und biopolitische Aspekte sind eng miteinander verbunden: Wir werden an die kolonialen Wurzeln des Kapitalismus erinnert, als der Austausch von Waren Pocken, Masern und Influenza auf indigene Völker Amerikas und Australiens übertrug und die lokale Bevölkerung angriff. Das Nichtmenschliche hat in unserer Geschichte und der Entwicklung unserer Wirtschafts- und Kultursysteme immer eine entscheidende, wenn auch bisher wenig erkundete Rolle gespielt. „Mikroben auf Papiergeld respektieren weder Geld noch Grenzen und reisen frei, was den kollektiven menschlichen Körper, das Mikrobiom, die Konstitution und die postkolonialen Ökologien fördert und gleichzeitig herausfordert“, bemerkt Rinaldo. Er bezieht sich hier sowohl auf die symbolischen Erinnerungen einer kolonialistischen Vergangenheit, die Papiergeld besitzt, als auch auf die aufkommende kolonialistische Präsenz, „angetrieben von Mikroben und der Psychometrie in der Datenanalyse. Da Geld ein starker Signifikant für Identität, Nationalismus und ein symbolisches Tauschmittel ist, ist es mit einem verfassungsmäßigen Glauben an ewige Reichtumsbeschwörungen und nationalem Vertrauen verbunden. Geld impliziert alle dazugehörigen Gottheiten und Symbole der nationalistischen Macht und Kontrolle.“
In der Ausstellung bieten wir die Möglichkeit an, mit der künstlerischen Arbeit zu interagieren: Mithilfe eines digitalen Mikroskops kann man sowohl mikroskopische Landschaften von Bakterien- als auch Pilzkolonien erkunden, als auch die detaillierten Gravuren zahlreicher Banknoten aus nächster Nähe entdecken. Während wir hier die Mikrowelt der Währungen betrachten, können wir gleichzeitig die Makroverbindungen zwischen ihnen auf wirtschaftlicher und biopolitischer Ebene reflektieren.
Regine Rapp & Christian de Lutz
Unser Dank geht an Marta De Menezes und Dr Luís Graça, Cultivamos Cultura; Dr. Mario Ramirez, Molecular Microbiology & Infection, Instituto de Medicina Molecular in Lisbon, Portugal; Prof. Amy Youngs; Dr. Adam Zaretsky.