Watery Ecologies. Artistic Research
Kat Austen | Mary Maggic | Fara Peluso
Wasser ist die Grundlage allen Lebens und macht 60% unseres Körpers aus. In Wasser geborene Organismen produzieren viel Sauerstoff des Planeten. Mittlerweile sind Wasserwege und Ozeane mit Kunststoffen, Industrieabfällen und verschiedenen Chemikalien gefüllt, wodurch der Metabolismus der meisten Lebewesen, auch uns, beeinflusst wird. Die Ausstellung zeigt Kunstprojekte zu Wasser, Leben und chemischen Störungen, deren Forschung die Grenzen von Kunst und Wissenschaft überschreitet. Die Künstlerinnen forschen in Biologie, Chemie und Ethnographie mit starken DIY-Methoden. Verschiedene Ansätze zur Hydrosphäre, der Summe des gesamten Wassers des Planeten, erforschen die Grundlagen des Lebens und die Bedrohung durch den Menschen auf die Umwelt und auf unseren Körper.
Die lang angelegte Forschung der Künstlerin und Designerin Fara Peluso konzentriert sich auf mögliche Verwendungen von Algen als Umweltregulator, Quelle für nachhaltige Materialien und ästhetischer Katalysator für Biophilie. Peluso schlägt eine engere Beziehung zwischen Menschen und Algen als Antwort auf unsere aktuelle Umweltkrise vor. In ihrer Forschung und Praxis des spekulativen und kritischen Designs arbeitet sie mit Biotechnologen und DIY-Wissenschaftler:innen an innovativen Design- und künstlerischen Lösungen.
Ihr Projekt VIVA (2016) initiiert eine spekulative symbiotische Beziehung zwischen Mensch und Algen durch ein Kopfstück. Das mit Algen zu füllende Accessoire verfügt über ein Mundstück, das basierend auf dem Sauerstoff/ Kohlendioxid-Zyklus einen Atmungsaustausch zwischen den Spezies ermöglicht. Der 3D-Prototyp verdeutlicht die stark biomorphe Struktur.
In der Arbeit WeaReactor (2017), entstanden in Zusammenarbeit mit BioArt Laboratories in Eindhoven, NL, wird diese Kollaboration weiter ausgebaut. Die Symbiose ähnelt einem Cyborg-artigen Körper, der mit den Algen verschmilzt – eine starke performative Geste (so auch ihre Zeichnungen). Dieser tragbare spekulative Apparat, der zwischenartliche Beziehungen demonstriert, scheint einer posthumanen Nomadin zu gehören, die diese mobile Algenstation wie ein Survival-Accessoire mit sich führt. Peluso verweist auf Biochemie und Ethik: „Ich schaffe fiktive Artefakte, die Geschichten zu möglichen Zukunftsszenarien über die Qualität unseres Lebens und unserer Einstellungen und Entscheidungen erzählen.“
In der Raummitte vermitteln Pelusos Designarbeiten mit algenbasiertem Material (2017-laufend) die komplexe Welt dieser einzelligen Organismen. Verschiedene Biokunststoffe aus verschiedenen Algenformen verdeutlichen Materialität und Textur. Neben Marimo Meeresalgen und Algenmooskugeln gibt es auch einen DIY Photo-Bioreaktor mit Spirulina-Algen, den Peluso für ihre Algature-Workshops verwendet.
The Matter of the Soul untersucht die Auswirkungen des Klimawandels in der kanadischen Hocharktis mittels Klangkomposition, Skulptur und Performance. Kat Austen, Künstlerin und promovierte Chemikerin, kombiniert hier wissenschaftliches Wissen, gehackte Ausrüstung und ethnographische Forschung mit einem starken ästhetischen Ansatz. Entscheidend für die Arbeit ist die gelebte Erfahrung, in einer Zeit der Eisschmelze in der Arktis zu sein.
The Matter of the Soul existiert in unzähligen Formen, als audiovisuelle Installation (so wie hier in der Ausstellung die einstündige Symphonie), als Live-Performance, als Sound-Piece, als Objekte und Bilder. Austen mäandert ihre Arktis-Forschung in verschiedene künstlerische Formate: Die Round Canvas und die Relief Sculpture zeigen ein rotes geometrisches Motiv auf weißem Hintergrund – ein Dreieck der Arktis, eine wiederkehrende Form und Abstraktion des Prozesses von dispersal (Ausbreitung), welche eine wichtige Rolle in der Symphonie spielt. Die Kassetten enthalten Ausschnitte oder auch die gesamte Symphonie.
Die audiovisuelle Installation Symphony | The Matter of the Soul (58 Min.) zeigt Sequenzen von Austens Reisen, mit dem Flugzeug oder dem Meer, Ansichten von Wasser und Eis, ergänzt durch gefundenes Material. Die Kompositionen enthalten Feldaufnahmen von Säure- und Salzgehalt, die durch arktische Eisschmelze beeinflusst werden, veränderte pH- und Leitfähigkeitsmessgeräte werden als wichtige Klangkomponenten verwendet; auch Interviews mit Besucher:innen, Einwohner:innen von Baffin Island/ Resolute, Kanada.Austen wählt ein klassisches Kompositionsformat, Sonatenform in vier Teilen, das sie inhaltlich und formal stark herausfordert: Die Titel der vier Teile beziehen sich auf naturwissenschaftliche Begriffe: 1. biphasic (zwei Phasen), 2. concentration, 3. dissipation (Ableitung) und 4. multifurkation (Aufteilung in mehrere Zweige). Sie verzerrt die Bildaufnahmen durch Farbfilter und Abstraktion. Das ständig wiederkehrende Thema des roten geometrischen Motivs betont den Ausbreitungsprozess und bezieht sich auf verschiedene Komponenten: chemische Komponenten (Wasser/ Eis) und sozial ethnographische (Migration). Dies entspricht ihrer Absicht, Empathie für den klimatischen und gesellschaftlichen Wandel zu schaffen – über Kunst.
Die Arbeit von Mary Maggic konzentriert sich auf das Vorhandensein und die Wirkung endokriner Disruptoren im Wasser. Nicht nur Östrogen aus Antibabypillen, sondern viele Pestizide und andere Chemikalien produzieren östrogenähnliche Chemikalien (Xenoöstrogene), die in Feuchtgebiete strömen und Trinkwasser infiltrieren. Maggics Arbeit hinterfragt auch unsere kulturellen Vorstellungen von Gender-Konformität in einer Zeit, in der unsere industrielle Entwässerung die Umwelt seit über einem Jahrhundert chemisch und hormonell verändert hat. Maggic erstellt für einige Projekte DIY-Protokolle für die Extraktion und den Nachweis von Östrogenhormonen aus Körper und Umwelt. Damit verbunden sind auch kritische Fragen zu Mikro-Performabilität, also der Mikro-Aufführbarkeit, und zu Möglichkeiten für Sex- und Gender-Hacking.
In der Ausstellung verdeutlichen drei Videos Maggics performative Arbeit mit DIY-Biochemie, Workshop-Formaten und spekulativem Design: Housewives Making Drugs (2017), 1-800-ESTROGEN (2018) und Molecular Queering Agency (2017). Die Wandinstallation zeigt Poster, Diagramme und Objekte, die sich auf diese und andere Videoarbeiten beziehen, so z.B. die Herstellung eines Hefebiosensors für Östrogen, die Extraktion von Hormonen aus Urin und die Kritik an der traditionellen Geschlechterdefinition und Geschlechtlichkeit. Vier Abbildungen zeigen DIY-Labor-Ausrüstungen. Das große Diagramm erläutert ihr spekulatives Projekt Open Source Estrogen. Die Masken an der Wand sind Relikte ihrer partizipativen Performance Molecular Queering Agency, welche die Selbstentnahme von Hormonen aus dem Urin der Teilnehmer:innen zu einem Ritual für einen möglichen hormonellen Austausch macht – was „Nature’s Queer Performativity“ (Barad) dynamisch verdeutlicht. Ihr starker biopolitischer Ansatz bezieht sich auf vergiftete Landschaften, in denen wir dem endokrin wirkenden Abfall der petrochemischen, landwirtschaftlichen und pharmazeutischen Industrie ausgesetzt sind: „Die Gegenstände, mit denen wir uns umgeben, die Lebensmittel, die wir essen, und die Luft, die wir atmen – alles ist Teil des Prozesses der Geschlechtsbestimmung“, sagt sie. „Diese Xeno-Moleküle sind in der Lage, uns morphologisch zu verändern und unsere Körper und nichtmenschliche Körper in Frage zu stellen.“
Regine Rapp & Christian de Lutz