30.05.2009 - 28.06.2009
Kunst und Recht II
Ztohoven
. Media Reality

Vernissage: 29.05.2009, 20h
Deutschlandpremiere des films On Media Reality von Vladimir Turner, 29.05.2009 at 20h30pm
Sa und So 14-18h
(zusätzlich: Fr, 26.06., 20-23h)

Ztohoven, Media Reality, 2007 Videostill

Ztohoven. Media Reality

Die Prager Künstlergruppe Ztohoven (z toho ven, tschech., raus aus dem, aber auch sto hoven, tschech., hundert Scheißhaufen) hinterfragt in ihren Arbeiten, meist Interventionen im öffentlichen Raum, die Glaubwürdigkeit der Massenmedien und der Werbung. Eine ihrer bekannteren Aktionen bestand beispielsweise darin, die Ampelmännchen auf den Prager Verkehrsampeln durch Überklebungen mit Folie humpelnd, liegend, trinkend oder urinierend darzustellen.

In ihrer Aktion Media Reality, deren Dokumentation aktuell bei Art Laboratory Berlin zu sehen ist, hat Ztohoven am 7. Juni 2007 Bilder einer Atomexplosion in die Liveübertragung einer Panoramalandschaft aus dem Riesengebirge des tschechischen Wettervorhersagekanal ČT 2. eingespeist, um eine Debatte über die

 

Manipulierbarkeit von TV-Bildern anzuregen. Der Sender hat daraufhin Anklage wegen böswilliger Verbreitung falscher Nachrichten zum Zweck der Störung des öffentlichen Friedens und der Eigentumsstörung erhoben. In zwei darauf folgenden Verfahren in den Jahren 2008 und 2009 wurde die Künstlergruppe von der Anklage der Erregung öffentlicher Panik freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte gefordert, die Angeklagten zu 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit zu verurteilen; die Höchststrafe für diese Straftat beträgt drei Jahre Freiheitsentzug. Doch die Aktion habe nicht zur Beunruhigung, sondern vielmehr zur Belustigung der Bevölkerung beigetragen, so die Richterin in ihrer Urteilsbegründung. Trotz der Freisprüche mussten einige Mitglieder von Ztohoven eine Geldstrafe an die Behörde für die Aufsicht bei Radio und Fernsehen wegen des "unerlaubten Eingriffs in öffentliche Sendungen" entrichten.

Parallel zum ersten Gerichtsverfahren erhielt Ztohoven 2007 für Media Reality den Preis für junge Künstler NG 333 der Prager Nationalgalerie, der in diesem Jahr zum ersten Mal verliehen wurde. Der Präsident der Nationalgalerie Milan Knizak erläuterte die Entscheidung für Ztohoven: "Sie sind aus dem Kammerspiel-Kunstterritorium ausgebrochen und haben den öffentlichen Raum erreicht mit dem Ziel, die Gesellschaft in provokanter Weise zu konfrontieren." Hiermit wird deutlich, wie stark die Einschätzung der Aktion zwischen Dummer-Jungen-Streich und konstruktiv-provokativer Kunstaktion schwankt. Zudem nehmen Ztohoven hier deutliche Anleihen bei H. G. Wells Hörspielfassung seines Romans War of the Worlds (1898). In diesem greifen Außerirdische das Vereinigte Königreich an, um von hier aus die Erde zu erobern. Im Hörspiel (1938) wurde der Handlungsort der Originalvorlage nach New Jersey verlegt und führte bei der Bevölkerung zu erheblichen Irritationen, da man das Hörspiel für eine authentische Reportage hielt und ein tatsächlicher Angriff von Außerirdischen befürchtet wurde.

Ztohoven selbst nehmen zu ihrer Aktion folgendermaßen Stellung: : "Wir sind weder Terroristen noch eine politische Gruppierung; wir haben nicht das Ziel, die Gesellschaft auf die gleiche Art und Weise zu manipulieren, wie wir es tagtäglich in den Medien beobachten können. Unternehmen und Weltkonzerne manipulieren und propagieren unerkannt ihre Produkte und Ideen - ganz gleich ob mit politischen oder marktorientierten Zielen - im menschlichen Unterbewusstsein. Selbst das geringste Eindringen in dieses System, jeder Appell an den menschlichen Intellekt, seine Fähigkeit, sich diesem Missbrauch zu entziehen, ist unserer Meinung nach in einem demokratischen Land unbedenklich. Aus diesem Grund hat die Künstlergruppe Ztohoven vor einigen Jahren damit begonnen, sich in die Funktionsmechanismen unserer Hauptstadt Prag einzuschleichen, um die Glaubwürdigkeit der Werbung in Frage zu stellen. Am 17. Juni 2007 ist unsere Gruppe in den Hoheitsbereich der Medien und des Fernsehens eingedrungen und hat so seinen Wahrheitsgehalt in Frage gestellt. Sie hat die mögliche Verwirrung gezeigt, die dabei entstehen kann, wenn medial erzeugte Bilder als real ausgegeben werden. Ist das, was unsere Medien wie Zeitungen, Fernsehen oder das Internet uns anbieten, tatsächlich die Wahrheit oder die Realität? In der Art eines Reminders an die Öffentlichkeit möchte unser Projekt diese Fragen aufwerfen. Wir sind zutiefst überzeugt, dass das unabhängige Fernsehen ohne Zweifel mit solchen Fragen umzugehen weiss, auch um den Preis der Selbstanklage. Unsere Aktion soll ein Appell an die Zukunft und eine Erinnerung an alle Medien sein, dass die Wahrheit um jeden Preis gezeigt werden muss. Wir sind dankbar für unsere unabhängigen Medien und für unsere unabhängige Gesellschaft."

Neben der eigentlichen Arbeit Media Reality - den ins Fernsehen eingespeisten Bildern einer Atomexplosion - und ergänzenden Gerichtsdokumenten präsentiert Art Laboratory Berlin in einer Deutschlandpremiere den Film On Media Reality (45', tschech. mit engl. Untertiteln) über die gerichtlichen und auch künstlerischen Folgen der Aktion mit bisher unveröffentlichten Bildern und Interviews mit Vertretern des tschechischen Fernsehens, Journalisten, Wissenschaftlern und auch Mitgliedern von Ztohoven selbst.
Sandra Frimmel

1-http://www.culturecuts.net/shortlist/2008/02/media-reality-by-ztohoven.html
2-http://www.ztohoven.com/cz/medialni_realita

Mehr über Ztohoven:http://ztohoven.com/

 

Stills aus dem film On Media Reality von Vladimir Turner. 2008
mit freundlicher Unterstützung von: