29.11.2008 - 29.03.2009
Kunst und Recht I: CAT. Monstration

Vernissage: Freitag, 20. Februar 2008, 20h
Sa/So 14-18h und nach Vereinbarung
zusätzlich offen 27.02. und 27.03. 20-23h
20.02.2009 - 29.03.2009

Eine Demonstrantin auf der Monstration 2005 mit einem selbst entworfenen Plakat (Foto eines Teilnehmers der Monstration)

CAT. Monstration

Die Aktionen der Gruppe CAT (Contemporary Art Terrorism), 2003 in Novosibirsk von Maksim Neroda, Ekaterina Drobyševa und Artem Loskutov gegründet und bis 2006 aktiv, waren als Interventionen im städtischen Raum zu verstehen. Dieser sollte als Plattform für künstlerische Ausdrucksformen und politische Forderungen zurückgewonnen werden - ein Anliegen, dem vor dem Hintergrund des in der Sowjetunion ausschließlich für politische Propagandazwecke genutzten öffentlichen Raums und den rein im privaten Raum oder in der Natur angesiedelten künstlerischen Performances außerhalb der Metropolen Moskau und Sankt Petersburg eine große Aktualität zukam.

"Rechtzeitig" (russ. CBOeBPeMeHHO) sollte ihre Kunst sein, nicht "zeitgenössisch" (russ. COBPeMeHHO)-1. "Rechtzeitige Kunst hat keinen Autor. Ihr Körper ist die Kommunikation der Mitglieder innerhalb der Gruppe", so kann man im Dekret über die rechtzeitige Kunst lesen.-2 "Ihr Werk ist das nach außen getragene Ergebnis dieser Kommunikation. Das Werk der rechtzeitigen Kunst hat keinen materiellen Wert. Es besteht in der Information des Zuschauers über alternative Funktionsmechanismen der Gesellschaft [...]. [...] Rechtzeitige Kunst ist politische Kunst. [...] Die rechtzeitige Kunst erhebt Anspruch auf ihre Präsenz im Leben und auf ihre Mitwirkung an der Lebensgestaltung."ns, der Gestaltung von Umgebungen, der formalen Beschaffenheit der Oberflächen, mittels derer die Lebenswelt konstruiert ist: von Textilien zu Text, von Fassaden zu Fonts, von Interieurs zu Straßen und Städten. Der Blick richtet sich auf die Anordnungen, die die Realität strukturieren und das Leben organisieren. Das Layout einer Zeitung erfindet eine Form der Aktualität, TV-Serien entwerfen Verhaltensmuster, Wohnungseinrichtungen konstituieren Identität, Schrifttypen gestalten Inhalte.

Ein Beispiel für Aktionen im Sinne der "rechtzeitigen" Kunst ist eine humorvolle Protestaktion gegen die Einführung von Studiengebühren 2004. Vor dem Sockel des Novosibirsker Lenindenkmals wurde ein Transparent mit der Aufschrift "Lernen, lernen und nochmals lernen", einem Zitat Lenins, enthüllt. Milizionäre ließen das Transparent wegen Störung der öffentlichen Ordnung entfernen und die Künstler verhaften. Auf ihre Nachfragen, wer der Urheber dieser Aktion sei, verwies CAT auf Lenin selbst. Schließlich hatten sie nur zusammengebracht, was auch zusammen gehört: das Zitat und seinen Urheber

.In einer Serie von Monstrationen ab 2004, die als Gegenparts zu den klassischen Mai-Demonstrationen zu verstehen und für diese Ausstellung titelgebend waren, kamen individuelle Plakate mit bewusst unpolitischen, vielmehr poetisch-unsinnmachenden Sprüchen zum Einsatz. "Fang den Hengst", "Wo bin ich?", "Ich bin dafür", "Nieder mit der Ausbeutung der sibirischen Wildheit in der Gegenwartskunst!" oder schlicht weiße Striche auf rotem Grund waren hier zu lesen.-3 Noch bevor die Plakate auf der Monstration 2004 überhaupt ausgerollt werden konnten, wurden sie bereits von Milizionären als "antiglobalistische Losungen" bezeichnet, die Mitglieder von CAT im Anschluss and die Monstration verhaftet und zu einer Geldstrafe verurteilt.

Unverkennbar sind in den Aktionen von CAT Anklänge an Joseph Beuys und seine Idee der Sozialen Plastik, laut der jeder einzelne innerhalb der Gesellschaft kreativ handeln kann, um so zum Wohl der Gesellschaft beizutragen und gestaltend auf sie einzuwirken. Doch im spezifisch russischen Kontext, in dem partizipatorische Demokratie kein Begriff ist, geriet CAT mit ihren Aktionen wiederholt in Konflikt mit dem Gesetz oder zumindest dem, was die Exekutive als solches auslegte; Freisprüche wechselten sich ab mit Geldstrafen, deren Bezahlung CAT ironischerweise wieder in eine künstlerische Aktion, Die Strafe hat grosse Augen, 2004, umwandelte. Die Stadt wurde zum Ausstellungsraum, und der russische Beamtenapparat verwandelte sich unfreiwillig in ein Mittel zur Bloßstellung der Funktionsunfähigkeit und auch Absurdität des politischen Machtapparates im heutigen Russland. Auch die Medien, hauptsächlich das Fernsehen, das bei den Aktionen zumeist vor Ort war oder bereits im Vorfeld darüber berichtet hatte, wurden von CAT geschickt zur Unterstützung und auch zum Schutz ihrer Aktionen genutzt.

Die Ausstellung CAT. Monstration dokumentiert die Aktionen an der Grenze zwischen Kunst und Gesetzesbruch, ergänzt sie durchpolizeiliche und juristische Dokumente und Berichte aus den Massenmedien um darzustellen, unter welchen Umständen Kunst zum Verbrechen wird.
Sandra Frimmel

more information at http://www.cat-group.info

1- Dieses Wortspiel funktioniert im russischen durch die Vertauschung weniger Buchstaben.
2-Dekret über die rechtzeitige Kunst. In: http://www.cat-group.info/dekret_deu.html.
3-„Nieder mit der Ausbeutung der sibirischen Wildheit in der Gegenwartskunst!“ bezieht sich auf einen Boom russischer Klischees
wie Alkoholismus oder Brutalität bei westlichen Kuratoren; die weißen Striche auf rotem Grund ruft die Arbeit Ideale Losung, 1972, des Künstlerduos Vitalij Komar und Aleksandr Melamid ins Gedächtnis.

 
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