Kunst und Text I
Farkhondeh Shahroudi

Vernissage: 31.8.2007, 20h
Ausstellung: 1.9.-23.9.2007, Sa-So, 14-18h

Farkhondeh Shahroudi, o.T. (2002), aus der serie Das Buch im Buch(2001-2007), Stoff, Stofffarbe
Farkhondeh Shahroudi, Gülüzar (2005), digitale Fotocollage

Farkhondeh Shahroudi

Farkhondeh Shahroudi wurde 1962 in Teheran geboren und lebt seit 1990 in Deutschland. Als Künstlerin arbeitet sie mit zahlreichen Medien: Skulptur, Zeichnung, Malerei, Fotografie, Video und Computer; als Dichterin schreibt sie auf Farsi und auf Deutsch. Ihre Werke fungieren nach ihren eigenen Worten als Hyperlink zwischen visuellen und literarischen Techniken, zwischen Tradition und Technologie.

Ihre Künstlerbücher aus der Serie Das Buch im Buch, 2001-2007, beziehen sich auf die Tradition der illuminierten Handschriften vor Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks und auf klassische persische Miniaturmalerei. Jedes der einzigartigen Bücher ist auf Stoff handgemalt. Sie sind angefüllt mit Bildern von Frauen, die in den klassischen – und jüngst viel diskutierten – iranischen Tschador gehüllt sind. Shahroudi verwendet unterschiedliche, mal blickdichte, mal transparente Stoffe für ihre Buchseiten und stellt so unsere vorgefertigten kulturellen Vorstellungen von Form und Inhalt in Frage. Indem sie Teile aus den Seiten aus schneidet, kreiert sie „Fenster und Türen“ in ihren Werken.
Im Gegensatz zu maschinell hergestellten Kunstwerken oder Büchern, die nach Benjamins Diktum durch die Massenproduktion ihre Aura verlieren, lädt die Einzigartigkeit von Shahroudis handgemachten Büchern sie wieder mit dieser verloren geglaubten Aura auf. Hierdurch erhalten sie, Reliquien ähnlich, einen Fetischcharakter. Darüber hinaus sind ihre Arbeiten für die Künstlerin „Objekte, die als Bedeutungsträger fungieren“.

Ihre jüngste Zeichnungsserie Glossolalie, 2007, begann als Experiment. Als Rechtshänderin zeichnete Shahroudi eine Reihe von Zeichnungen auf Papier mit der linken Hand. Anschließend malte sie diese Bilder auf Fragmente von Kleidung, die aus einem unvollendeten Kunstwerk ausgeschnitten waren: ein Kleidungsstück, das mit zahlreichen Schichten aus Schrift in Farsi bedeckt war. Shahroudi arbeitet immer nach einem bestimmten Prinzip, um jene „unlesbaren“ Texte zu schaffen, die sich in vielen ihrer Werke finden. Oftmals schreibt sie zu Anfang spontane Texte, die der „écriture automatique“ der Surrealisten verpflichtet sind, und überschreibt diese anschließend mehrmals mit neuen Texten. Das Ergebnis ist einerseits unlesbar, andererseits in Teilen (zumindest phonetisch) erkennbar. Es ist ein Palimpsest aus Bild und Text, eine Kalligraphie mit klanglichen Qualitäten. Beim Schreiben, Nähen, Malen (und auch Arbeiten am Computer) ersetzt die Bewegung der Hand die Stimme als wichtigstes linguistisches Medium: „Wenn ich mit meinen Händen arbeite, dann ist das so, als spreche meine Zunge durch meine Hände“, sagte Shahroudi in einem Gespräch.

Die Digitalprojektion Gülüzar, 2005, ist eine Fotocollage eines Campingwagens vor dem Görlitzer Park in Kreuzberg. Gülüzar – Blumenwiese – ist der Spitzname, den die dort lebenden Türken dem Park gegeben haben. Der Campingwagen ist mit einem typischen persischen Teppich bedeckt. Der Teppich spielt in seiner Materialität eine wesentliche Rolle in Shahroudis Arbeiten. Im Rahmen ihrer Performance Restituzione im Bahnhof Tiburtina in Rom 2003 hat sie beispielsweise Teppichstücke an verblüffte Passanten und Reisende verteilt. 2005 hat sie die Pfeiler vor dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin in persische Teppiche gehüllt.
In diesen Arbeiten kommt aber vor allem der Symbolik des Teppichs als mobiler Garten eine große Bedeutung zu.

Der Garten, ein weit verbreitetes Sujet in der persischen Kunst und Dichtung, ist ebenso das Hauptmotiv in orientalischen Teppichen, deren Muster sich üblicherweise an florale Vorbilder anlehnen. Zudem wird hier der Teppich als mobiles Kunstwerk, als mobiler Garten zum Symbol für eine außerhalb ihres Heimatlandes arbeitende Künstlerin.
-Christian de Lutz

mit freundlicher Unterstützung von:
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