|
|
Eine
Demonstrantin auf der Monstration 2005 mit einem selbst entworfenen
Plakat (Foto eines Teilnehmers der Monstration) |
|
|
|
|
|
|
|
|
CAT.
Monstration
Die
Aktionen der Gruppe CAT (Contemporary Art Terrorism), 2003
in Novosibirsk von Maksim Neroda, Ekaterina Drobyeva und Artem
Loskutov gegründet und bis 2006 aktiv, waren als Interventionen
im städtischen Raum zu verstehen. Dieser sollte als Plattform
für künstlerische Ausdrucksformen und politische Forderungen
zurückgewonnen werden - ein Anliegen, dem vor dem Hintergrund
des in der Sowjetunion ausschließlich für politische
Propagandazwecke genutzten öffentlichen Raums und den rein
im privaten Raum oder in der Natur angesiedelten künstlerischen
Performances außerhalb der Metropolen Moskau und Sankt Petersburg
eine große Aktualität zukam.
"Rechtzeitig"
(russ. CBOeBPeMeHHO)
sollte ihre Kunst sein, nicht "zeitgenössisch" (russ.
COBPeMeHHO)-1.
"Rechtzeitige Kunst hat keinen Autor. Ihr Körper ist die
Kommunikation der Mitglieder innerhalb der Gruppe", so kann
man im Dekret über die rechtzeitige Kunst lesen.-2
"Ihr Werk ist das nach außen getragene Ergebnis dieser
Kommunikation. Das Werk der rechtzeitigen Kunst hat keinen materiellen
Wert. Es besteht in der Information des Zuschauers über alternative
Funktionsmechanismen der Gesellschaft [...]. [...] Rechtzeitige
Kunst ist politische Kunst. [...] Die rechtzeitige Kunst erhebt
Anspruch auf ihre Präsenz im Leben und auf ihre Mitwirkung
an der Lebensgestaltung."ns,
der Gestaltung von Umgebungen, der formalen Beschaffenheit der Oberflächen,
mittels derer die Lebenswelt konstruiert ist: von Textilien zu Text,
von Fassaden zu Fonts, von Interieurs zu Straßen und Städten.
Der Blick richtet sich auf die Anordnungen, die die Realität
strukturieren und das Leben organisieren. Das Layout einer Zeitung
erfindet eine Form der Aktualität, TV-Serien entwerfen Verhaltensmuster,
Wohnungseinrichtungen konstituieren Identität, Schrifttypen
gestalten Inhalte.
Ein
Beispiel für Aktionen im Sinne der "rechtzeitigen"
Kunst ist eine humorvolle Protestaktion gegen die Einführung
von Studiengebühren 2004. Vor dem Sockel des Novosibirsker
Lenindenkmals wurde ein Transparent mit der Aufschrift "Lernen,
lernen und nochmals lernen", einem Zitat Lenins, enthüllt.
Milizionäre ließen das Transparent wegen Störung
der öffentlichen Ordnung entfernen und die Künstler verhaften.
Auf ihre Nachfragen, wer der Urheber dieser Aktion sei, verwies
CAT auf Lenin selbst. Schließlich hatten sie nur zusammengebracht,
was auch zusammen gehört: das Zitat und seinen Urheber
.In
einer Serie von Monstrationen ab 2004, die als Gegenparts
zu den klassischen Mai-Demonstrationen zu verstehen und für
diese Ausstellung titelgebend waren, kamen individuelle Plakate
mit bewusst unpolitischen, vielmehr poetisch-unsinnmachenden Sprüchen
zum Einsatz. "Fang den Hengst", "Wo bin ich?",
"Ich bin dafür", "Nieder mit der Ausbeutung
der sibirischen Wildheit in der Gegenwartskunst!" oder schlicht
weiße Striche auf rotem Grund waren hier zu lesen.-3
Noch bevor die Plakate auf der Monstration 2004 überhaupt
ausgerollt werden konnten, wurden sie bereits von Milizionären
als "antiglobalistische Losungen" bezeichnet, die Mitglieder
von CAT im Anschluss and die Monstration verhaftet und zu
einer Geldstrafe verurteilt.
Unverkennbar
sind in den Aktionen von CAT Anklänge an Joseph Beuys und seine
Idee der Sozialen Plastik, laut der jeder einzelne innerhalb
der Gesellschaft kreativ handeln kann, um so zum Wohl der Gesellschaft
beizutragen und gestaltend auf sie einzuwirken. Doch im spezifisch
russischen Kontext, in dem partizipatorische Demokratie kein Begriff
ist, geriet CAT mit ihren Aktionen wiederholt in Konflikt mit dem
Gesetz oder zumindest dem, was die Exekutive als solches auslegte;
Freisprüche wechselten sich ab mit Geldstrafen, deren Bezahlung
CAT ironischerweise wieder in eine künstlerische Aktion, Die
Strafe hat grosse Augen, 2004, umwandelte. Die Stadt wurde zum
Ausstellungsraum, und der russische Beamtenapparat verwandelte sich
unfreiwillig in ein Mittel zur Bloßstellung der Funktionsunfähigkeit
und auch Absurdität des politischen Machtapparates im heutigen
Russland. Auch die Medien, hauptsächlich das Fernsehen, das
bei den Aktionen zumeist vor Ort war oder bereits im Vorfeld darüber
berichtet hatte, wurden von CAT geschickt zur Unterstützung
und auch zum Schutz ihrer Aktionen genutzt.
Die
Ausstellung CAT. Monstration dokumentiert die Aktionen an
der Grenze zwischen Kunst und Gesetzesbruch, ergänzt sie durchpolizeiliche
und juristische Dokumente und Berichte aus den Massenmedien um darzustellen,
unter welchen Umständen Kunst zum Verbrechen wird.
Sandra
Frimmel
more
information at http://www.cat-group.info
1- Dieses Wortspiel funktioniert im russischen durch
die Vertauschung weniger Buchstaben.
2-Dekret über die rechtzeitige Kunst. In: http://www.cat-group.info/dekret_deu.html.
3-Nieder mit der Ausbeutung der sibirischen Wildheit in der
Gegenwartskunst! bezieht sich auf einen Boom russischer Klischees
wie Alkoholismus oder Brutalität bei westlichen Kuratoren;
die weißen Striche auf rotem Grund ruft die Arbeit Ideale
Losung, 1972, des Künstlerduos Vitalij Komar und Aleksandr
Melamid ins Gedächtnis.
|
|
|