verhältnis
von Politik und Wirtschaft und zeigt künstlerische Strategien,
die dies zu unterwandern versuchen. Amerika, Land der Freiheit,
war der Schauplatz der Ereignisse, die dieser Ausstellung zugrunde
liegen. Sie zeigt, dass es auch in einer Demokratie für Künstler
nicht selbstverständlich ist, Machtverhältnisse zu kritisieren
und öffentlich Stellung zu beziehen.
Die Ausstellung SEIZED setzt sich mit dem Fall des CAE-Mitglieds
und Kunstprofessors Steve Kurtz auseinander, der aufgrund seiner
kritischen Kunstpraxis Opfer einer FBI-Razzia wurde, aus der vier
Jahre juristische Verfolgung hervorgingen. Im Mai 2004 verstarb
eines Nachts völlig unerwartet Steve Kurtzs Frau Hope
aufgrund eines bisher nicht diagnostizierten Herzfehlers. Die Feuerwehr,
die kurz darauf eintraf, fand neben dem Leichnam der Frau ein voll
ausgestattetes Chemielabor vor, das dem Ehepaar Kurtz der Vorbereitung
auf ihre nächste Ausstellung diente. Der Feuerwehr erschien
dies jedoch verdächtig, und sie verständigte sofort das
FBI. Im Zuge einer dreitägigen Razzia konfiszierten sie nicht
nur Kurtzs Computer, Archivmaterialien, Kunstwerke und eine
Reihe von Büchern, die er für seine Forschung zu einem
neuen Buchprojekt benötigte, sondern auch den Leichnam seiner
Frau. Er selbst wurde 22 Stunden verhört mit dem Ziel, ihn
des Bioterrorismus und sogar des Mordes an seiner Frau
anzuklagen. Später wurde der Anklagepunkt in Postbetrug
geändert, doch erst 2008 wurde der Fall wegen mangelnder Beweislage
endgültig zu den Akten gelegt.
In ihrer Installation The Body of Evidence (Beweiskörper) drehen
die Künstler das Opfer-Täter-Verhältnis um: Da das
FBI sie ihrer künstlerischen Materialien beraubt hat, konfiszierten
sie im Gegenzug die Rückstände, die diese nach der Durchsuchung
auf dem Grundstück von Steve Kurtz zurückgelassen hatten
Pizzaschachteln, Getränkeflaschen, Schutzanzüge,
Tüten für Biomaterialien, Notizen sowie einen Zigarrenstummel.
Die Kuratoren der Ausstellung Regine Rapp und Christian de Lutz
schreiben dazu im Ausstellungskatalog:
Die Präsentation der Notizen, die sich die Bundesagenten
während der Durchsuchung gemacht haben, gleicht einer Strategie
der Gegen-Aneignung, bei der das CAE und das IAA jene zurückgelassenen
Objekte als Beweismittel für ihre eigenen Untersuchungen
nutzen. Dies stellt den Fall auf den Kopf und untergräbt dadurch
die Machtstrukturen. Die konfiszierten Dinge werden gegen die zurückgelassenen
Dinge ausgetauscht, die wiederum die Grundlage der Ausstellung bilden.
Durch diesen sonderbaren reziproken Akt kehren die Künstler
das gesamte Ermittler-Täter-System um. Die Leerstelle, die
durch die Beschlagnahmung der Kunstwerke von CAE entstanden ist,
wurde mit dem Unrat des Staats gefüllt, wodurch die Abwesenheit
der konfiszierten Objekte umso greifbarer wird.
Neben der vielschichtigen Installation Body of Evidence dokumentiert
die Ausstellung künstlerische Arbeiten und Performances von
CAE, an denen Steve und Hope Kurtz kurz vor der Razzia arbeiteten,
wie zum Beispiel Free Range Grain (2003-04) oder Molecular Invasion
(2002-03). Art Laboratory Berlin zeigt außerdem in
Zusammenarbeit mit dem arsenal institut für film
und videokunst e.v. den Film Strange Culture von Lynn Hershman
Leeson aus dem Jahr 2007, der sich mit dem Fall Steve Kurtz auseinandersetzt.
Daran anschließen wird sich eine Podiumsdiskussion.
Zur
Ausstellung erschien ein Katalog.
Criticial
Art Ensemble
(CAE) ist ein Kollektiv taktischer Medienaktivisten aus unterschiedlichen
Fachrichtungen wie Computergraphik, Software, Wetware, Film/ Video,
Fotografie, Buchkunst und Performance. CAE wurde 1987 gegründet
und hat zahlreiche unterschiedliche Projekte für ein internationales
Publikum an unterschiedlichen Veranstaltungsorten produziert, angefangen
vom Straßenraum, über das Museum bis zum Internet.
CAE hat für ihre Arbeit mehrere Preise erhalten, darunter den
2007 Andy Warhol Foundation Wynn Kramarsky Freedom of Artistic
Expression Grant, der zwei Jahrzehnte ausgezeichneter Arbeit
honoriert. CAE wurde bereits von zahllosen internationalen Kulturinstitutionen
eingeladen: dem Whitney Museum und dem New Museum in New York, dem
Corcoran Museum of Art in Washington D.C., dem London Museum of
Natural History, dem ICA London, der Schirn Kunsthalle Frankfurt,
dem Musée dArt Moderne de la Ville de Paris, der Volksbühne
in Berlin, dem ZKM Karlsruhe, El Matadero in Madrid, dem Museum
of Contemporary Art in Helsinki, dem Museo de Arte Carrilo Gil in
Mexico City und vielen mehr.
Das
Institute for Applied Autonomy (IAA) wurde 1998 als ein anonymes
Kollektiv von Ingenieuren, Designern, Künstlern und Aktivisten
mit dem Ziel der individuellen sowie kollektiven Selbstbestimmung
gegründet. Bisher hat das IAA zahlreiche Aktionen realisiert,
gerade im Rahmen des Vorzeigeprojekts Contestational Robotics.
Darunter fallen verschiedene telegesteuerte graffitischreibende
Roboter; I-See, ein webgestützter Navigationsdienst
als Benutzerhilfe bei der Vermeidung von Beobachtung, der große
mediale Aufmerksamkeit bekam; Terminal Air, eine Installation
und Website, welche die Bewegungen von Flugzeugen aufzeichnet, von
denen man annimmt, sie seien im Rahmen des CIA "Extraordinary
Rendition Program" verwendet worden.
Das IAA hat für seine Arbeit zahlreiche Auszeichnungen erhalten,
darunter den 2000 Prix Ars Electronica Award of Distinction
und mehrere lobende Erwähnungen von Prix Ars Electronica sowie
das Rhizome New Media Fellowship. Ihre Arbeiten wurden weltweit
in Museen, Galerien und an öffentlichen Orten gezeigt, so z.B.
im ZKM, Karlsruhe; in der World Information Organization, Amsterdam;
im Museum of Contemporary Art, Barcelona; im Australian Centre for
the Moving Image und im Mass MoCA.
Der
Film Strange Culture (2007) der US-amerikanischen
Regisseurin Lynn Hershman Leeson dokumentiert den surrealen Alptraum
des international renommierten Künstlers und Kunstprofessors
Steve Kurtz, der mit dem Tod seiner Frau Hope durch Herzversagen
begann. Die durch Kurtz Notruf alarmierte Polizei hielt seine
Kunst für verdächtig und schaltete das FBI ein. Innerhalb
weniger Stunden wurde der Künstler als verdächtig(t)er
Bioterrorist festgenommen, während Dutzende von
Bundesagenten seine Arbeit durchsuchten und seinen Computer, seine
Manuskripte, Bücher, seine Katze und sogar den Leichnam seiner
Frau beschlagnahmten. In den Hauptrollen spielen Tilda Swinton,
Peter Coyote, Thomas Jay Ryan, Josh Kornbluth und Steven Kurtz.
Der Film Strange Culture wurde 2007 auf der Berlinale in
Berlin gezeigt.
Lynn
Hershman Leeson ist eine amerikanische Filmemacherin und Künstlerin.
Ihr wurden Preise zuteil wie der Siemens-Medienkunstpreis
des ZKM, Karlsruhe, sowie der Golden Nica Prize auf der Ars
Electronica 1999.
Katalog:
SEIZED. Critical Art Ensemble & Institute for Applied Autonomy.
Berlin 2009
Regine Rapp und Christian de Lutz für Art Laboratory Berlin
(Hrsg.):
44 S., Farbe, Texte auf englisch und deutsch
ISBN: 978-3-9813234-0-5
9,00 EUR.
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